Kartenlesen war früher
Vielleicht erinnern Sie sich noch: Damals in den 90ern. Sie auf dem Weg in den Familienurlaub – hinten auf der Rückbank mit CD-Player, Gummibärchen und Spucktüte. Vorne: die Eltern. Vater am Steuer, Mutter mit Routenatlas in der Hand. "Dieter, du hättest hier abbiegen müssen." Genervtes Seufzen, nach 300 Kilometern der erste handfeste Wegfindungsstreit.
Der Algorithmus findet den schnellsten Weg
Diese Zeiten sind vorbei. Heute wird bereits an der optimalen Fahrt getüftelt, bevor der erste Koffer im Auto landet. Digitale Navigationssysteme machen es möglich. Sie berechnen den besten Weg von A nach B. Oder genauer: Der Algorithmus berechnet den Weg. Das ist gar keine so einfache Aufgabe, jedenfalls für einen Menschen. Denn um zum Beispiel von Gießen nach Halle zu kommen, gibt es viele verschiedene Möglichkeiten, verschiedene Strecken und Knotenpunkte, die alle irgendwie zum Ziel führen.
Welcher Weg der Schnellste ist, hängt von einer Vielzahl von Faktoren ab. Während früher Mutter und Vater gebannt dem Verkehrsfunk lauschten, rechnen moderne Navigationssysteme in Echtzeit. Das bedeutet: Sie kennen nicht nur theoretisch den schnellsten Weg. Sondern auch praktisch. Streckensperrung, Stau, Baustelle – all das fließt in die Wegberechnung mit ein. Wenn sich unterwegs herausstellt, dass eine eingeschlagene Route nicht mehr die schnellste ist, werden Sie umgelenkt.
Routenapps sind Datensammler
Moderne Navigationssysteme bieten eine Menge Komfort. Es ist einfacher geworden, sich in unbekannten Gegenden zu orientieren und schneller ans Ziel zu kommen. Staus sind vermeidbarer als früher. Aber woher wissen die Routenplaner von heute, dass es auf der A2 gerade nur langsam vorwärts geht? Die Antwort ist einfach: Aus den Daten der Nutzerinnen und Nutzer. Wenn Sie bei Ihrem Navigationsgerät einen roten Streckenabschnitt sehen, bedeutet das aus Datenperspektive: Hier kommen gerade nur sehr viele Handys ganz langsam voran. Während Sie ein Navigationssystem nutzen, wird Ihre Bewegung aufgezeichnet und die dadurch gewonnenen Informationen wandern zurück ins Netz. Zwar in anonymisierter Form (niemand kann sehen, dass Sie, Clara, 33 Jahre, aus Gießen gerade im Stau stehen). Aber trotzdem.
Der Künstler Simon Weckert sorgte übrigens Anfang 2020 für großen Wirbel, als er mit 99 Smartphones im Handkarren in Berlin einen Stau auf Google Maps erzeugte – auf leergefegten Straßen wohlgemerkt.
Ihr Handy – eine Bewegungsdatengoldgrube
Wenn Sie unterwegs sind, zeichnen nicht nur Routenapps Ihre Bewegungsdaten auf. Andere Apps wie zum Beispiel Fitness-Apps, Wetter-Apps, Social Media-Apps wie Facebook oder TikTok und auch der Google-Standortdienst bei Android-Handys können mitschneiden, wo Sie sich gerade befinden. Für Unternehmen ist die Kenntnis darüber, wo Sie sind, mit wem Sie sind und was Sie machen, wertvoll. Viele Menschen fühlen sich durch das Wissen, dass Unternehmen jede Menge über sie wissen, auch gar nicht besonders gestört.
Bewegungsprofile in falschen Händen
Wer vielen Programmen und Unternehmen erlaubt, Bewegungsprofile anzulegen, sollte sich bewusst machen, dass zum Beispiel Facebook wahrscheinlich nicht nur weiß, wo Sie gerade sind. Sondern auch mit wem Sie Ihre Zeit verbringen und ob Sie der Person nahestehen. Aus den Bewegungsdaten und den anderen Metadaten, die das Unternehmen aus Facebook, WhatsApp und Instagram zieht, kann es so etwas wie eine Persönlichkeitsanalyse von Ihnen erstellen. Der Ort, an dem Sie sich gerade aufhalten, ist darin nur ein Mosaikstein.
Und damit noch nicht genug: Stellen Sie sich vor jemand verschafft sich illegal Zugang zu Ihrem Gerät oder Ihrem Google- oder Facebook-Account. Und kann dann plötzlich auslesen, wo Sie joggen, einkaufen, wohnen, wo Ihre Freunde wohnen oder welche Kita Ihre Kinder besuchen. Der oder die wüssten dann auch, wann Sie zuhause sind oder in Urlaub. Spätestens diese Vorstellung löst bei vielen Menschen Bauchgrummeln und Unwohlsein aus. Und dass Daten, die auf einem Server liegen, immer wieder in falsche Hände geraten, ist keine Neuigkeit. Sondern eher eine Frage der Zeit.
Was also tun?